Archiv des Autors: Rainer Struß

Inzidentkontrolle des Bebauungsplans im Baunachbarstreit

In einem von Rechtsanwalt Struß geführten baunachbarrechtlichen Verfahren von Eigentümern eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks, die sich gegen die Umsetzung eines großflächigen Ferienanlagen-Vorhabens auf dem Nachbargrundstück zur Wehr setzten, hat das Verwaltungsgericht Cottbus im November 2023 in einem Eilverfahren zugunsten der Antragsteller entschieden und das Nachbarbauvorhaben gestoppt.

Die von mir vertretenen Antragsteller wehrten sich gegen die der Investorengesellschaft für das Ferienanlagen-Vorhaben erteilten Baugenehmigung für ca. 30 Ferienwohnungen und ca. 40 Stellplätzen auf dem Nachbargrundstück. Die Baugenehmigung wiederum beruhte auf einem Bebauungsplan aus dem Jahr 2016, welcher für das Vorhabengrundstück ein Sondergebiet „Tourismus“ festsetzte. In der Begründung zum Bebauungsplan war der Hinweis enthalten, dass die erforderlichen Stellplätze außerhalb des Vorhabengrundstücks ausgewiesen werden sollen. Dieses Thema war auch Gegenstand der damaligen Abwägungsentscheidung in der Stadtverordnetenversammlung. Im Bebauungsplan selbst wurde eine entsprechende Einschränkung allerdings nicht aufgenommen bzw. umgesetzt.

Auf Antrag der Investorengesellschaft erteilte der Landkreis eine Baugenehmigung, die auf dem Baugrundstück selbst, mithin in unmittelbarer Nähe zur angrenzenden Wohnbebauung, ca. 40 Stellplätze aufwies. Der Landkreis vertrat hierzu die Auffassung, dass der Bebauungsplan aufgrund fehlender Einschränkungen bzw. entgegenstehender Festsetzungen die Ausweisung der Stellplätze auf dem Baugrundstück selbst zulasse; der Begründung zum Bebauungsplan komme keine verbindliche Bedeutung zu.

In dem Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde zwar insoweit der Behörde zugestimmt, als dass die Festsetzungen des Bebauungsplans die Ausweisung der Stellplätze auf dem Baugrundstück selbst grundsätzlich zulassen würden. Das Verwaltungsgericht nahm allerdings eine sog. Inzidentkontrolle des Bebauungsplans von 2016 vor und stellte aufgrund der fehlenden Umsetzung der Abwägungsentscheidung der Stadtverordnetenversammlung hinsichtlich der Auslagerung der Stellplätze einen schwerwiegenden Abwägungsfehler fest, welcher auch– als sog. „Ewigkeitsfehler“ (bzw. Ewigkeits-mangel) – noch heute zu beachten wäre. Wörtlich heißt es in dem Beschluss: „Folglich ist das Gewollte nicht geplant worden und entspricht das Geplante nicht dem, was gewollt ist.“ Als Folge dieses Fehlers sah das Verwaltungsgericht den Bebauungsplan – bezogen auf das Sondergebiet „Tourismus“ – als unwirksam an. Nach dem dann heranzuziehenden Planungsrecht eines sog. „faktischen Wohngebietes“ gem. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO wäre aber die Ferienwohnungsanlage mit den ca. 30 Ferienwohnungen bauplanungsrechtlich unzulässig und verletze die Antragsteller in dem ihnen zustehenden, nachbarschützenden Gebietserhaltungsanspruch.

Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 29.11.2023, Az.: VG 3 L 182/23

Normenkontrollverfahren: Bebauungsplan und Abwägungserfordernisse

In einem von Rechtsanwalt Struß geführten Normenkontrollverfahren eines betroffenen Grundstücksnachbarn gegen einen Bebauungsplan der Gemeinde M.L. in Brandenburg hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 17.06.2022 (Az.: OVG 2 A 6/20) jenen Bebauungsplan für unwirksam erklärt. Gegenstand des Bebauungsplans war im Wesentlichen die Umwandlung einer Grün- und Waldfläche in einen öffentlichen Parkplatz. Hiergegen wandte sich der betroffene Eigentümer, der Lärm- und Lichtimmissionen befürchtete, aber auch den Verlust des Naturraums nicht hinnehmen wollte.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 17.06.2022 (Az.: OVG 2 A 6/20) jenen Bebauungsplan für unwirksam erklärt. Gleich mehrere der vom Verfahrensbevollmächtigten erhobenen Rügen gegen den Bebauungsplan griffen nach Auffassung des Gerichts durch.

Zunächst sah das Gericht die Voraussetzungen hinsichtlich der von der Gemeinde gewählten Verfahrensvorschriften nicht für gegeben an. Die Gemeinde führte das Bebauungsplanverfahren nach den Vorgaben für einen „Bebauungsplan der Innenentwicklung“ nach § 13a Abs. 1 S. 1 BauGB durch, weshalb auf bestimmte, ansonsten vorgeschriebene Verfahrensvorschriften verzichtet wurde, insbesondere auf die Durchführung einer Umweltprüfung und die Erstellung eines Umweltberichtes verzichtet wurde. Hierzu vertrat das OVG allerdings die Auffassung, dass das Plangebiet in der durchzuführenden Einzelfallbetrachtung nicht als Siedlungsbereich anzusehen wäre. Insbesondere sei durch die Umgestaltung des ehemaligen Kasernengeländes, welches zu der Schaffung eines zusätzlichen Naturraums geführt habe, ein Bebauungszusammenhang mit den bebauten Flächen im Sinne einer „Baulücke“ nicht (mehr) vorhanden, so dass die Fläche nicht mehr zum Siedlungsbereich gehöre.
Desweiteren verwies das Gericht aus diesem Grund auch auf Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Bekanntmachung des Bebauungsplans.

Schließlich war aus Sicht des Gerichts ein Abwägungsfehler darin zu sehen, dass die Gemeinde die zu erwartenden Lärmauswirkungen der Stellplatznutzung auf dem geplanten Parkplatz nicht hinreichend ermittelt habe. Eine diesbezügliche Stellungnahme des Landesamtes für Umwelt sei bereits deshalb nicht ausreichend gewesen, da diese Stellungnahme unplausibel erscheine. Auf die Frage des Erfordernisses der Einholung eines Verkehrsgutachtens, wie es vom Verfahrensbevollmächtigten des betroffenen Nachbars gefordert wurde, musste das OVG daher nicht mehr eingehen.

Auch dieses Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zeigt deutlich auf, welche hohen Anforderungen die Rechtsprechung an die Gemeinde bezüglich der Abwägung, aber insbesondere auch bezogen auf Verfahrensfehler im Aufstellungsverfahren, stellt. Auch wird man festhalten können, dass es für betroffene Bürger – je nach Einzelfall – gute Rechtsschutzmöglichkeiten gegen einen sie belastenden Bebauungsplan gibt.

Grundsätzlich kein behördliches Vollzugsinteresse bei einer baulichen Beseitigungsanordnung

Verwaltungsgericht Berlin (19. Kammer), Beschl. v. 13.01.2020 – VG 19 L 609.19

In einem Beschluss aus dem Januar 2020 hat die 19. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin ausführlich zu der – nicht neuen – Frage Stellung bezogen, unter welchen Voraussetzungen die Bauaufsichtsbehörde bei einer baulichen Beseitigungsanordnung nach § 80 S. 1 BauO Bln die sofortige Vollziehung anordnen kann. Hierbei hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Folge, dass die bauliche Anlage eigentlich bereits in der von der Behörde gesetzten Frist zu beseitigen wäre, ohne dass die Bestandskraft der Anordnung, also der Abschluss eines Widerspruchsverfahrens und anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, abgewartet werden müsste.

Gegenstand des Verfahrens war ein ohne Baugenehmigung errichteter Swimmingpool auf einem mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück in Schmargendorf. Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin war offensichtlich der Auffassung, dass der Pool bereits wegen der damit einhergehenden, zu weitgehenden Versiegelung des Grundstückes und damit der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Grundflächenzahl (GRZ) baurechtlich unzulässig sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Behörde insbesondere mit der damit einhergehenden negativen Vorbildwirkung, die vom Swimmingpool ausgehen solle. Zudem sei ein besonderes Vollzugsinteresse auch darin zu sehen, dass bei Ausschöpfung des Rechtsweges durch den Grundstückseigentümer mehrere Jahre ins Land gehen könnten, bis letztlich die Beseitigungsanordnung bestandskräftig und durchsetzbar wäre.

Das Verwaltungsgericht hat in dem Beschluss zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, wonach der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Garantie eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes wesentliche Bedeutung bereits für den vorläufigen Rechtsschutz zukomme, dessen Versagung vielfach irreparable Folgen habe.

Gerade bei baurechtlichen Beseitigungsanordnung ist es naheliegend, dass die sofortige Vollziehung einer Beseitigungsanordnung mit einem irreversiblen Substanzverlust einhergeht und somit der „normale“ Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren dann zu spät kommen würde. Ausnahmen macht die Rechtsprechung insbesondere dann, wenn die Beseitigung der Anlage ohne größeren Substanzverlust und hohe Kosten zu bewerkstelligen ist (zum Beispiel bei Werbeanlagen), bei einer besonders schwerwiegenden negativen Vorbildwirkung und schließlich auch bei beharrlichen und notorischen Schwarzbauern.

Die Frage der negativen Vorbildwirkung hat das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Entscheidung recht elegant gelöst. Es hat zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei der Vorbildwirkung immer um eine Einzelfallbetrachtung der konkreten Grundstückssituation handele und hat daher einen Blick auf die Nachbargrundstücke im Wege der Auswertung von öffentlich zugänglichen Luftbildern (u.a. google maps) geworfen. Dabei stellte das Gericht fest, dass auch auf den benachbarten Grundstücken bereits vielfach bauliche Nebenanlagen mit kritischen Versiegelungswerten und außerhalb der zulässigen Bebauungstiefe vorhanden waren, u.a. Sport- und Spieleinrichtungen, Saunaanlagen und weitere Swimmingpools. Daraus schloss das Verwaltungsgericht messerscharf, dass eine negative Vorbildwirkung jedenfalls dann ausscheide, wenn die Nachbargrundstücke ohnehin schon (unzulässig) vollgebaut sind und somit eine Nachahmung nicht mehr in Betracht komme. Ohnehin hielt das Gericht das Argument der negativen Vorbildwirkung auch deshalb für wenig überzeugend, da das in Rede stehende Grundstück schlecht einsehbar war und die Überschreitung der GRZ ohnehin nur bei konkreter Kenntnis der Grundstücksmasse und der bebauten Grundstücksteile berechnet werden könne. Auch stehe es laut Gericht dem Grundstückseigentümer frei, den Rechtsweg zu beschreiten und auszuschöpfen, selbst wenn dieses mit einem langen Zeitraum (ggf. mehrere Jahre) verbunden sei. Zusammengefasst war nach Auffassung der 19. Kammer daher ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ersichtlich, sodass entsprechend dem Regel-Ausnahmeverhältnis des § 80 Abs. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung wieder herzustellen war.

Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass diese eher großzügigen Maßstäbe des Verwaltungsgerichts bei einer bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagung gerade nicht greifen sollen. Hier wird in der Regel die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines entsprechenden Bescheides „Vorfahrt“ haben, da nach Auffassung der Verwaltungsgerichte – teilweise etwas kurz gegriffen – die Einstellung der Nutzung nicht irreversibel sei. In diesen Fällen wird man sich also im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren deutlich schwerer tun, zumal die Rechtsprechung auch nicht davon abzubringen ist, in diesen Fällen die eigentlich gebotene Ermessensentscheidung der Behörde durch die „Erfindung“ des sog. intendierten Ermessens ersetzen zu wollen. Nicht zu Unrecht wird diese Rechtsfigur von der Literatur vielfach als „verwirrend und überflüssig“ (Aschke in: BeckOK VwVfG, § 49 Rn. 41) abgelehnt, zumal es ist im gewaltenteiligen Staat nicht Aufgabe der Rechtsprechung sei, zur „Rettung“ behördlicher Entscheidungen ergebnisbezogene Regelungen zu erfinden, für die ein normativer Ansatz fehle (so wörtlich Riese in: Schoch u.a. VwGO, § 114 Rn. 32). Schön formuliert.