Grundsätzlich kein behördliches Vollzugsinteresse bei einer baulichen Beseitigungsanordnung

Verwaltungsgericht Berlin (19. Kammer), Beschl. v. 13.01.2020 – VG 19 L 609.19

In einem Beschluss aus dem Januar 2020 hat die 19. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin ausführlich zu der – nicht neuen – Frage Stellung bezogen, unter welchen Voraussetzungen die Bauaufsichtsbehörde bei einer baulichen Beseitigungsanordnung nach § 80 S. 1 BauO Bln die sofortige Vollziehung anordnen kann. Hierbei hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Folge, dass die bauliche Anlage eigentlich bereits in der von der Behörde gesetzten Frist zu beseitigen wäre, ohne dass die Bestandskraft der Anordnung, also der Abschluss eines Widerspruchsverfahrens und anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, abgewartet werden müsste.

Gegenstand des Verfahrens war ein ohne Baugenehmigung errichteter Swimmingpool auf einem mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück in Schmargendorf. Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin war offensichtlich der Auffassung, dass der Pool bereits wegen der damit einhergehenden, zu weitgehenden Versiegelung des Grundstückes und damit der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Grundflächenzahl (GRZ) baurechtlich unzulässig sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Behörde insbesondere mit der damit einhergehenden negativen Vorbildwirkung, die vom Swimmingpool ausgehen solle. Zudem sei ein besonderes Vollzugsinteresse auch darin zu sehen, dass bei Ausschöpfung des Rechtsweges durch den Grundstückseigentümer mehrere Jahre ins Land gehen könnten, bis letztlich die Beseitigungsanordnung bestandskräftig und durchsetzbar wäre.

Das Verwaltungsgericht hat in dem Beschluss zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, wonach der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Garantie eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes wesentliche Bedeutung bereits für den vorläufigen Rechtsschutz zukomme, dessen Versagung vielfach irreparable Folgen habe.

Gerade bei baurechtlichen Beseitigungsanordnung ist es naheliegend, dass die sofortige Vollziehung einer Beseitigungsanordnung mit einem irreversiblen Substanzverlust einhergeht und somit der „normale“ Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren dann zu spät kommen würde. Ausnahmen macht die Rechtsprechung insbesondere dann, wenn die Beseitigung der Anlage ohne größeren Substanzverlust und hohe Kosten zu bewerkstelligen ist (zum Beispiel bei Werbeanlagen), bei einer besonders schwerwiegenden negativen Vorbildwirkung und schließlich auch bei beharrlichen und notorischen Schwarzbauern.

Die Frage der negativen Vorbildwirkung hat das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Entscheidung recht elegant gelöst. Es hat zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei der Vorbildwirkung immer um eine Einzelfallbetrachtung der konkreten Grundstückssituation handele und hat daher einen Blick auf die Nachbargrundstücke im Wege der Auswertung von öffentlich zugänglichen Luftbildern (u.a. google maps) geworfen. Dabei stellte das Gericht fest, dass auch auf den benachbarten Grundstücken bereits vielfach bauliche Nebenanlagen mit kritischen Versiegelungswerten und außerhalb der zulässigen Bebauungstiefe vorhanden waren, u.a. Sport- und Spieleinrichtungen, Saunaanlagen und weitere Swimmingpools. Daraus schloss das Verwaltungsgericht messerscharf, dass eine negative Vorbildwirkung jedenfalls dann ausscheide, wenn die Nachbargrundstücke ohnehin schon (unzulässig) vollgebaut sind und somit eine Nachahmung nicht mehr in Betracht komme. Ohnehin hielt das Gericht das Argument der negativen Vorbildwirkung auch deshalb für wenig überzeugend, da das in Rede stehende Grundstück schlecht einsehbar war und die Überschreitung der GRZ ohnehin nur bei konkreter Kenntnis der Grundstücksmasse und der bebauten Grundstücksteile berechnet werden könne. Auch stehe es laut Gericht dem Grundstückseigentümer frei, den Rechtsweg zu beschreiten und auszuschöpfen, selbst wenn dieses mit einem langen Zeitraum (ggf. mehrere Jahre) verbunden sei. Zusammengefasst war nach Auffassung der 19. Kammer daher ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ersichtlich, sodass entsprechend dem Regel-Ausnahmeverhältnis des § 80 Abs. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung wieder herzustellen war.

Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass diese eher großzügigen Maßstäbe des Verwaltungsgerichts bei einer bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagung gerade nicht greifen sollen. Hier wird in der Regel die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines entsprechenden Bescheides „Vorfahrt“ haben, da nach Auffassung der Verwaltungsgerichte – teilweise etwas kurz gegriffen – die Einstellung der Nutzung nicht irreversibel sei. In diesen Fällen wird man sich also im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren deutlich schwerer tun, zumal die Rechtsprechung auch nicht davon abzubringen ist, in diesen Fällen die eigentlich gebotene Ermessensentscheidung der Behörde durch die „Erfindung“ des sog. intendierten Ermessens ersetzen zu wollen. Nicht zu Unrecht wird diese Rechtsfigur von der Literatur vielfach als „verwirrend und überflüssig“ (Aschke in: BeckOK VwVfG, § 49 Rn. 41) abgelehnt, zumal es ist im gewaltenteiligen Staat nicht Aufgabe der Rechtsprechung sei, zur „Rettung“ behördlicher Entscheidungen ergebnisbezogene Regelungen zu erfinden, für die ein normativer Ansatz fehle (so wörtlich Riese in: Schoch u.a. VwGO, § 114 Rn. 32). Schön formuliert.